Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung durch Otfried Wagenbreth im Februar 2010
Original Aquarell gemalt von Otfried Wagenbreth im Gefangenenlager 1945 Kripp am rechten Ahrufer. Nachdem er das Bild gemalt hatte, wurde ihm zur Kenntnis gebracht, dass der gemalte Ort nicht Sinzig, sondern Kripp sei. Noch im Gefangenenlager korrigierte er den Untertitel seines Aquarells. Er gab dem Bild den Titel: "Morgen über Kripp am Rhein".
Insel Kripp
2. Weltkrieg 1945
von Horst Krebs
Neue Erkenntnisse aus dem Gefangenenlager Remagen/Sinzig
12. Mai 1945 Samstag, Schönwetter, Fußschmerzen, Verpflegung: 1.5 Eßl. Fleisch und Gemüse (im Kochgeschirrdeckel), 1.5 Eßl. Haferflocken, 1.5 Eßl. Milchpulver, 1.5 Eßl. Zucker, 1.5 Eßl. Kaffee (in der Butterdose als dicke, kalte Suppe, die Dose halb voll), 1 Eßl. Erbspulver, 1 Eßl. Bouillon (teils aufgehoben, teils kalt angerührt), 2 Eßl. Weizen (roh), 9 Rosinen, 0.5 Eßl. Zitronenpulver, 0.5 Eßl. Fett, 2 Eßl. Trockengemüse.
Aus dem Gefangenenlager malte Otfried Wagenbreth seine Umgebung. Man erkennt den Zaun, die Kripper Kirche, den Kripper Wasserturm. Am 26. Februar 2010 sprach ich mit Otfried Wagenbreth, der mir Kopien seiner Aquarelle übergab.Viele Einzelschicksale deutscher Kriegsgefangener im Rheinwiesenlager Remagen und Sinzig wurden niedergeschrieben, und es gibt eine Fülle von Begebenheiten in der heutigen Literatur.
In der Zusammenfassung gibt es eine Archivierung des bekannten Materials im Widerspruch zu denen, die es anders oder besser wussten. Das ist bis heute, zum Jahre 2012, so geblieben. Im Brückenmuseum Remagen sagte man mir, im Gefangenenlager Remagen/Sinzig sind nicht mehr gestorben, als in Bodendorf auf dem Kriegsgräberfriedhof begraben wurden. Meinen bescheidenen Hinweisen auf die Krematorien in Bonn und Koblenz wurden mir als rechtsradikales Gedankengut abgetan. „Nein, Krematorien gab es keine.“
Das Gefangenenlager Remagen/Sinzig waren die Rheinwiesen südlich der Stadt Remagen bis nördlich von Bad Breisig. Ein Nebenfluss des Rheins und ein kleiner Ort an der Mündung dieses Flusses verhinderten den geografischen Zusammenschluss beider Lager. Der Ort Kripp mit seiner Ahrmündung. Aber Kripp trennte nichts und Kripp verband nichts in bezug beider Lager, sie unterstanden der gleichen Kommandatur. Kripp war für einige Monate eine Insel, auf der die Bewohner stets versuchten, Gefangene mit etwas Essbarem zu erreichen. Davon steht in der Literatur nichts geschrieben, aber ich nehme es zum Anlass, es zu erwähnen.
Umstritten ist bis heute, warum nach Kriegsende noch so viele Soldaten sterben mussten. War es die Überforderung der Amerikaner mit der Versorgung ihrer Gefangenen, war es Ohnmacht oder Gleichgültigkeit. Heute, nach 69 Jahren, muss man sich die Mühe geben, neu zu recherchieren. Viele Großväter und Väter haben ihren Kindern und Enkelkindern die Wahrheit hinterlassen, und viele dieser Menschen stellen heute Fragen. Deutsche Menschen genau so wie die Menschen drüben in Amerika...
So gehe ich nun heute durch unsere neue Kommunikationswelt, versuche aus allen Teilen dieser Welt die wahren Worte zu finden, die nicht mehr verschleiert sind und die ein wahres Zeugnis abgeben. Die Zeit verdeckt nicht, was schon einmal geschrieben wurde, irgendwo in einer Kiste auf dem Dachboden oder den alten Aktenordner vom Großvater, dessen Schrift heute kaum noch jemand lesen kann. Ein einziges Foto widersteht jeglichen Repressalien. Durch die Verzahnung der Generationen sind Mehrheiten entstanden, denen man nicht mehr durch zivile Folgedrohungen Schweigen erzwingen kann. Viele haben heute den Mut ohne monetäre Hintergründe zu sprechen. Der Versuch der Verharmlosung ist aber immer noch in vielen Köpfen, als Kompensation der Versäumnisse vergangener Zeit.
Das Gefangenenlager ist heute, mit dem Brückenkopf als Museum, eine Gedenkstätte, aber auch ein touristisches Ziel. Genau diesen Umstand sollte man in seinen Recherchen mit einbeziehen, um begreifbar zu machen, dass nicht alles gesagt wurde, was geschah. Allzu leicht hört man den Satz, dass es ja Krieg war, andere Zeit, andere Gesetze. In den Kriegsgesetzen ist die Behandlung der Gefangenen allerdings oberstes Gebot. Die größte Rolle aber spielte die Politik nach dem Kriege. Relevante Unterlagen wurden vernichtet, es war nichts geschehen. Ich bin 1950 gerade mal 200 Meter vom Gefangenenlager entfernt geboren worden und bis heute Kripper geblieben. Dass es hier mal ein Gefangenenlager gab, habe ich erst 1968 bei uns in der Kneipe erfahren. Hier haben bei uns die Kirchen und die Schulen versagt, weil Krieg für lange Zeit ein Tabuthema war. Das Leid oder die Scham waren zu groß, um darüber zu sprechen.
Die Zahl von circa 1300 toten Gefangenen ist die von den Behörden herausgegebene Zahl für das ehemalige Gefangenenlager rund um Kripp.. Diese Zahl steht wie ein Bollwerk mit der irrigen Argumentation, dass mit circa 2% Sterberate die Anzahl der Toten im Vergleich zu anderen Gefangenenlagern in dieser Zeit relativ gering war. Wären in dem Gefangenenlager lediglich 1300 Gefangene gewesen und wären sie alle dort verstorben, dann hätte sich deren Anzahl nicht verändert, aber man hätte in diesem Fall von der größten Katastrophe der Menschlichkeit gesprochen. So gesehen muss man Acht geben, dass man Geschichte richtig versteht.
Zu den ersten Kriegsgefangenen im Lager Sinzig gehörte der 17 jährige Bernhard Frahling. Er kam im offenen Waggon mit vielen anderen aus dem Seuchenlager Andernach. Der Zug hielt auf freier Strecke, und die Gefangenen liefen in die Weizenfelder und konnten sich zum erstenmal nach langer Zeit satt essen. Hier sollte ihre neue Heimat werden, und sie begannen ein Viereck mit Stacheldraht einzuzäunen. In der nahen Ferne sahen sie den Schornstein der Kripper Ziegelei und der der Kripper Lederfabrik. Der Bericht von Bernhard Frahling ist zu lesen in seinen Lebenserinnerungen auf der Webseite www.Sternvorde.de. Er beklagte in seinen Lebenserinnerungen, dass hauptsächlich die älteren Gefangenen starben wie die Fliegen. Er beschrieb den täglichen Abtransport der Toten als eine hektische Angelegenheit. Auf der Suche nach Nahrung fand er in einer Rübenmiete einen Haufen Menschenleiber, Zentimeter dick bepudert und über Allem pures DDT. Hier ein Originaltext seiner Lebenserinnerungen:
„In dem Buch von James Bacque wird von Zeugen bestätigt dargelegt, dass seitens der Siegermächte eine volle Verpflegung der Gefangenen in vollkommen ausreichendem Maße in den Depots vorhanden gewesen wäre!! Es wäre aber vorsätzlich eine auf langsam Verhungern ausgerichtete Weise gehandhabt worden!!! So nahm auch bei uns die ganze Tragödie des langsamen Sterbens und Dahinsiechens seinen furchtbaren Verlauf!! Allein aus unserem Camp wurden täglich dreißig und mehr Kameraden elendig "verreckt" und tot abgeholt. Da ich selbst in dieser Phase ebenfalls unmittelbar und zunehmend einem solchen Ende zusteuerte, muss ich es im Nachhinein laut in die Welt hinaus schreien!! Schreien für Diejenigen, die täglich um mich herum erbärmlich und ohnmächtig schweigend zur Ewigkeit verdammt wurden!!! Es war, wie es nach dem Kriege auch zahlreich belegt wurde, ein systematisch geplanter und kaltblütig betriebener Mord auf Raten an zigtausend wehrloser Kameraden.“ 1)
Frahling hatte 45 Jahre nach seiner Gefangenschaft ein Wiedersehen mit seinem Lebensretter. Man brachte Frahling mit LKW als „Leiche“ nach Bodendorf, und kippte ihn am Massengrab ab. Jemand bemerkte, dass er noch lebte, und er wurde tatsächlich nach Kripp ins Lazarett gebracht. Dieser Sanitäter, es war Josef Peter Czerny, traf er 1993 zum Austausch der Lebenserinnerungen. Czerny berichtete, dass sie im Lazarett Kripp jeden Tag einige Lastwagen Leichen beladen hätten. Diese wurden nicht alle ins Krematorium gebracht, die meisten wurden in die Bombenlöcher entlang der Ahr gebracht. Czerny begleitete diese Transporter mit Abfahrt Lazarett Kripp, und er bezeichnete dieses Lazarett als Sterbefabrik. Er berichtete, dass die Straße vor dem Lazarett als Sterbeablage diente zur besseren Desinfizierung und Bestäubung durch DDT. Weiterhin sagte er, dass die Leichen nur sporadisch gezählt wurden.
Der Kriegsgefangene Bernhard Friedrich Frahling schrieb seine Lebenserinnerungen in den 90er Jahren, gemeinsam mit einigen Kameraden, die er bei verschiedenen Treffen wiederfand. Seine gesamte Dokumentation ist von denen unterschrieben, die in Remagen und Sinzig dabei waren, als Beweis der Authentität, der Wahrheit und des Elends. Hier ein weiterer Bericht aus seiner Dokumentation, die nie als Buch veröffentlicht wurde, und die er auf 20 Seiten niederschrieb:
„Innerhalb meines Berichtes hatte ich schon einmal betont, dass wir mit derartigen Seuchen behaftet waren! Aus diesem Grunde fuhren oftmals die LKW mit den Toten direkt zu den Massengräbern, meist waren es ja Bombenlöcher!! Es fuhren also längst nicht alle das Lazarett Kripp an, wo sie entseucht und registriert werden konnten!!! Allein dort wurden tagtäglich drei bis vier LKW hoch mit Toten beladen, allerdings waren sie dann entseucht und registriert worden!!! Von hier aus gingen sie dann nach Koblenz oder Bonn in die Krematorien!! Wenigstens diese waren registriert!! Die vielen "Direkt-Lieferungen", auch in die Bombenlöcher an der Ahr, waren es aber nicht!!! Dieses hat mir später, erst im Jahre 1990, mein "Lebensretter" noch in tiefer Bewegtheit selbst berichtet!! Denn er war ja einer der Sanitäter im Lazarett Kripp, die dafür herangezogen worden waren. Von hier aus wurden auch die Massengräber in Bad Bodendorf "beliefert" und später zum Ehrenfriedhof ausgebaut!! Er berichtete mir aber auch, dass selbst auf dem Ehrenfriedhof in Bad Bodendorf dreimal so viele Toten untergebracht sein müssten, als dort registriert sind“ 1)
Mit der Auflösung des Gefangenenlagers Remagen/Sinzig begann dann der Todesmarsch zurück nach Andernach unter französischer Bewachung. Jeder zehnte Gefangene starb bei diesem Marsch. Es wird berichtet, dass im Lazarett Kripp jeden Tag drei bis vier LKW voller Leichen beladen wurden.
Bericht der amerikanischen 106. Infantery Division übersetzt von Horst Krebs
Die Alliierten kamen im April 1945 über den Rhein. Der Krieg war Anfang Mai 1945 beendet. Mehrere hunderttausend deutsche Soldaten kamen in Kriegsgefangenschaft, viele auch aus dem Osten. Die amerikanische 106. Infantery Division bekam die Aufgabe, den Aufbau der Gefangenenlager im Bereich des Rheins durchzuführen und zu leiten. Der rote Bereich waren die Flächen um Wesel, die weißen Bereiche umfassten die Wiesen um Koblenz und Bad Ems. Dort war auch das Hauptquartier der 106. Infantry Division. Der blaue Bereich war die Gegend um Frankfurt und Mannheim und der grüne Bereich ging runter bis nach Stuttgart. Jeder Bereich hatte 3 – 5 Camps.
Das Problem war nicht die Bewachung der Gefangenen, sondern die Versorgung. Die Gefangenen mussten transportiert werden, sie mussten Nahrung bekommen und Seuchen mussten verhindert werden. Tatsache ist, dass diese Lager nicht so schnell errichtet werden konnten, wie man sie brauchte. Man konnte keine Gebäude errichten, die Gefangenen mussten sich Erdlöcher graben, und sich Schutz vor Nässe und Kälte beschaffen. Sie lebten wie Ratten im Dreck. Das Hauptproblem aber war, dass es keine geordnete Wasserversorgung gab und in den meisten Fällen das Fehlen von medizinischen Einrichtungen. Seuchen verbreiteten sich schnell.
Die 106. Division hatte nicht genug Soldaten, um all diese Dinge sicher zu stellen. Es kamen dann 3000 zusätzliche amerikanische Soldaten in die Gefangenenlager. Sie wurden ausgesucht aus den neuen 6950er, 6591er und 6952er Provisorischen Wachbatallionen. Sie kamen Mitte April in die Lager um die Situation zu verbessern.
Anfang Mai waren im weißen Bereich, dem Bereich um Kripp, Koblenz und Ems, 250000 Gefangene. Täglich kamen neue Gefangene hinzu.
Die Versorgungslage war immer noch sehr kritisch, und man bekam etwas Hilfe von deutschen Einrichtungen. Gefangene halfen mit, das Lager aufzubauen. Im Mai fing man mit dem Abbau der Anzahl der Gefangenen an, durchschnittlich konnten 9000 Gefangene pro Tag das Lager verlassen, die meisten kamen in benachbarte Lager. Am 10. Juli war für die 106. Infantery Division ihre Aufgabe beendet. Der letzte Gefangene wurde der französischen 10. Infantry übergeben. Der Commander aller vier Camps Sinzig, Remagen, Andernach und Koblenz war Colonel Leon L. Kotzbue vom 159. Infantry Regiment. 2)
Am 24. April 1945 erhielt das amerikanische 331st Medical Battalion den Befehl, die medizinische Versorgung im Camp Remagen und Sinzig sicher zu stellen. Captain Blanchard übernahm Team 1 mit 16 Sanitärärzten, 3 Ambulanzen und einem Offizier in dem Ort Kripp. Captain Schechter mit Team 2 wurde in Leubsdorf stationiert. 3)
Quellenangaben:
Tagebucheintragungen von Bernhard Frahling
Bericht der 106th Infantry Division USA
Co. "C", 331st Medical Battalion, Edward L. CHRISTIANSON
s.950
..... in Bearbeitung